Die Strafbarkeit wegen Menschenhandels setzt voraus, dass die handelnden Personen mit dem Vorsatz handeln, dass die Opfer (gegenwärtig oder auch später) ausgebeutet werden. Als Ausbeutung kommen laut § 104a Abs 3 Strafgesetzbuch sexuelle Ausbeutung, Ausbeutung durch Organentnahme, Ausbeutung der Arbeitskraft, Ausbeutung zur Bettelei oder Ausbeutung zur Begehung strafbarer Handlungen in Betracht.
Im Folgenden finden Sie zu jeder der genannten Ausbeutungsarten ein Positionspapier der Plattform gegen Ausbeutung und Menschenhandel, in dem unter anderem die Erscheinungsformen der Ausbeutungsart und einschlägige Forderungen der Plattform dargestellt werden.
Menschenhandel zum Zweck sexueller Ausbeutung
Positionspapier Sexuelle Ausbeutung
Definition und Erscheinungsformen
Sexuelle Ausbeutung ist eine der Ausbeutungsformen des österreichischen Tatbestands „Menschenhandel“ (§ 104a StGB), wie im UNO-Palermoprotokoll sowie in der Europaratskonvention gegen Menschenhandel vorgegeben.
Sexuelle Ausbeutung liegt vor, wenn eine Person sexuelle Leistungen erbringen soll, die mit ihren körperlichen, psychischen oder wirtschaftlichen Bedürfnissen nicht im Einklang stehen und somit ein menschenwürdiges Leben beeinträchtigen. Darunter fällt auch, wenn einer Person der Großteil ihrer Einnahmen vorenthalten wird. [2]
Historisch gesehen bezog sich die Definition von sexueller Ausbeutung ausschließlich auf Ausbeutung in der Prostitution. Allerdings kann sexuelle Ausbeutung auch im Kontext von Ehehandel, von Pornographie oder im Rahmen einer unter Zwang eingegangenen Geschlechtsgemeinschaft bzw. durch erzwungene Leihmutterschaft vorkommen. Sexuelle Ausbeutung kann auch im Zusammenhang mit Arbeitsausbeutung stattfinden, zum Beispiel in einem Haushalt oder einem Pflegeverhältnis, wenn die finanzielle Abhängigkeit der Person und / oder die räumliche Nähe für sexuelle Übergriffe ausgenutzt werden.
Ein Großteil der in Österreich identifizierten Betroffenen von Menschenhandel wird zum Zweck der sexuellen Ausbeutung gehandelt.[3]
Überwiegend sind Frauen und Mädchen von diesem Bereich des Menschenhandels betroffen. 2022 waren es weltweit 90%. (UNODC: Global Report on Trafficking in Persons, 2024, 53) Es ist allerdings davon auszugehen, dass der Anteil von männlichen und transgender Personen, die von sexueller Ausbeutung betroffen sind, im Dunkelfeld höher liegt, da diese Fälle kaum erkannt werden.
Menschenhandel kann generell – so auch zum Zweck der sexuellen Ausbeutung –durch folgende Umstände begünstigt werden:
- Ausnützen der Notlage einer Person
- Armut durch fehlende soziale Absicherung
- Ausbleiben von Unterhaltszahlungen an Alleinerziehende
- mangelnde Ausbildungs- und Arbeitsmöglichkeiten im Herkunfts-, Transit- oder Zielland
- fehlende Aufenthaltsgenehmigung
- fehlender Zugang zum Arbeitsmarkt
- Ausnützen von Machtgefällen, beispielsweise als Folge von
- einer unter Zwang eingegangenen Geschlechtsgemeinschaft
- Schuldknechtschaft
- einer (familiären) Gewaltbeziehung
- einer emotionalen Abhängigkeit in Eltern-Kind- oder Paarbeziehungen
- körperlichen oder seelischen Beeinträchtigungen der betroffenen Personen
- religiösen Überzeugungen (z. B. Juju oder Voodoo-Zauber)
Herausforderungen:
Der Zugang zu vielen grundlegenden Opferrechten setzt die „offizielle“ Identifizierung von Opfern voraus.
Diese ist in Österreich derzeit immer noch ausschließlich der Polizei vorbehalten und erfordert daher eine Anzeige bzw. Aussage der Betroffenen bei der Polizei.
Das ist problematisch, weil vielen Opfern aus den weiter unten angeführten Gründen die Aussage vor der Polizei (noch) nicht zumutbar ist. Damit bleibt ihnen der Zugang zu vielen ihnen aufgrund internationaler Konventionen zustehenden Rechten verwehrt.
Fehlende Rechte bzw. Schutzvorschriften im Umfeld der Prostitution:
Sexuelle Ausbeutung findet häufig im Kontext der Prostitution statt.
Sie wird durch das Fehlen von Arbeitsrechten, Regelung von Mindestlöhnen sowie anderer Schutzvorschriften (wie Mutterschutz) bzw. der Festlegung von Obergrenzen für Raummieten gefördert, da die betroffenen Personen unter großem finanziellen Druck Arbeitsbedingungen und Praktiken akzeptieren müssen, die sie grundsätzlich ablehnen. Der finanzielle Druck wird auch dadurch erhöht, dass Menschen in der Prostitution wiederholt für Fehlverhalten von Kund*innen verwaltungsstrafrechtlich belangt werden.
Auswirkungen des geltenden Asylrechts mit Hinblick auf Arbeitsmarktzugang
Anträge auf internationalen Schutz sind schnellstmöglich abzuwickeln, damit Menschen in prekären Lebenssituationen nicht durch eine monatelange Unsicherheit zusätzlich belastet werden. In dieser vulnerablen Phase sind sie adäquat unterzubringen und zu versorgen, damit sie nicht in Ausbeutungsverhältnisse geraten.
Betroffene von Menschenhandel werden von den Ausbeuter*innen häufig angehalten, sich in Österreich unter Angabe falscher Asylgründe oder einer falschen Identität als Asylwerber*innen registrieren zu lassen, damit sie bei Behördenkontrollen nicht auffallen. Das beeinträchtigt ihre Glaubwürdigkeit massiv, wenn sie später die Gefahr der Vergeltung oder neuerlichen Rekrutierung durch Menschenhändler*innen als (wahren) Asylgrund offenbaren.
Identifizierung von Betroffenen
Die Identifizierung von Betroffenen wird dadurch erschwert, dass sie oft von Personen aus ihrem familiären Umfeld ausgebeutet werden oder von Personen, von denen sie durch Vortäuschung eines Liebesverhältnisses emotional abhängig sind, und gegen die sie daher nicht vor der Polizei aussagen wollen.
Hinzu kommt, dass sich viele Betroffene selbst nicht als Opfer sehen.
Auch die mit Prostitution einhergehende Stigmatisierung kann die Identifizierung erschweren.
Hinzu kommt der Rollenkonflikt der Polizei, die einerseits das Vertrauen möglicher Betroffener gewinnen soll, um sie als Opfer von Menschenhandel identifizieren zu können, andererseits aber oft dieselben Personen laufend wegen Verwaltungsübertretungen bestrafen muss [4].
Sexuelle Ausbeutung im privaten Kontext, sei es infolge Ehehandels oder erzwungener Leihmutterschaft oder durch sexuelle Übergriffe auf Haushaltsangestellte, bleibt der öffentlichen Wahrnehmung weitgehend verborgen. Durch diese Isolation im privaten Bereich wird eine Identifizierung der Betroffenen zusätzlich erschwert.
Fehlende Perspektiven
Fehlende oder schwer zugängliche Perspektiven machen es dem Großteil der Betroffenen unmöglich, dem Ausbeutungsverhältnis zu entkommen. So ist es für Menschen, die sich selbst aus Ausbeutungsverhältnissen befreien konnten oder die aus diesen befreit wurden, oftmals schwer, den Zugang zu Unterstützungsleistungen zu finden. Ohne Bereitschaft zur Aussage oder Anzeige steht den Betroffenen grundsätzlich keine finanzielle Absicherung zu, da diese an die Erteilung eines Aufenthaltstitels gebunden sind.
Weitere Hürden sind Traumata, fehlende Sprachkenntnisse oder gar fehlende Alphabetisierung, aber auch fehlende Kinderbetreuung.
Forderungen der Plattform
- Strafverfolgungsbehörden sollten andere Beweise als Opferaussagen gewinnen, um oftmals traumatisierte oder eingeschüchterte Opfer zu schonen.
- Die Erholungs- und Bedenkzeit sollte von 30 Tagen auf 6 Monate verlängert und gesetzlich verankert werden, um eine tatsächliche Erholung von Opfern zu ermöglichen und damit auch die Aussagebereitschaft von traumatisierten Opfern gegen die Täter*innen zu erhöhen und auf aufenthaltsbeendende Maßnahmen zu verzichten, um eine Stabilisierung des Opfers zu ermöglichen.
- Betroffenen von Menschenhandel sollen die vollen Opferrechte, insbesondere Aufenthaltsrecht, finanzielle Absicherung und Zugang zum Gesundheitssystem, unabhängig von einer Anzeige zustehen, wenn sie von einer spezialisierten NGO betreut werden. Die Erfahrung zeigt, dass eine kontinuierliche Vertrauensarbeit, wie sie von NGOs geleistet wird, eine wirksame Möglichkeit ist, die wahre Geschichte einer Person zu erfahren und diese zu ermutigen, gegen ihre Ausbeuter*innen auszusagen.
- Praktische Umsetzung des Verzichts auf Strafverfolgung von Betroffenen von Menschenhandel in der Praxis.
- Auch Verwaltungsstrafen für Verstöße, die im Zusammenhang mit dem Menschenhandel verhängt worden sind, müssen den Betroffenen laut internationalen Richtlinien erlassen werden.
- Finanzielle Unterstützungsleistungen bzw. eine bedarfsorientierte Grundsicherung sollten zur Verfügung gestellt werden.
- Betroffene sollten schon ab Identifikation durch eine anerkannte NGO Zugang zum regulären Gesundheitssystem haben, unabhängig von der Zuerkennung einer Sozialleistung und unabhängig davon, ob es zur Strafverfolgung kommt.
- Arbeitsrechts- und Arbeitsschutzbestimmungen sollten für in der Prostitution Erwerbstätige geschaffen werden, um sie vor Ausbeutung zu schützen. Dazu zählen beispielsweise Mindestlöhne, Mietobergrenzen (z.B. in Laufhäusern), Mutterschutz und Kondompflicht.
- Verstärkte Sensibilisierungsarbeit ist notwendig, damit auch betroffene Männer und Transgender-Personen als Betroffene von Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung erkannt werden.
- Des Weiteren sind die Öffentlichkeit und alle zuständigen Akteur:innen zu sensibilisieren, damit mehr Betroffene von Ausbeutung in Haushalten / in Ehen sich selbst als Betroffene erkennen oder von anderen als solche erkannt werden, und diese auch zu ihren Rechten kommen.
- Präventionsmaßnahmen sollten in Herkunfts- und Zielländern durch Aufklärung über rechtliche Rahmenbedingungen von Migration, über arbeitsrechtliche Schutzvorschriften und Hilfs- und Beratungseinrichtungen durch das Außenministerium und österreichische Botschaften im Ausland unternommen werden.
[1] Aufbauend auf einen Entwurf von Herzwerk.
[2] Vgl. die Judikatur zu § 216 Abs. 2 StGB.
[3] So wurden laut den Tätigkeitsberichten von LEFÖ-IBF und MEN VIA von den von ihnen betreuten mutmaßlichen Betroffenen von Menschenhandel im Jahr 2023 ca. 170 Frauen und 4 Männer Opfer sexueller Ausbeutung, und ca. 100 Frauen und 84 Männer Opfer von Arbeitsausbeutung. 2022 wurden ca. 210 Frauen und 7 Männer Opfer sexueller Ausbeutung bzw. ca. 120 Frauen und 53 Männer Opfer von Arbeitsausbeutung.
[4] In einzelnen Fällen häufen sich auf diese Weise Verwaltungsstrafen von mehreren Tausend Euro an.
Positionspapier Arbeitsausbeutung
Positionspapier Arbeitsausbeutung
Definition und Erscheinungsformen
Arbeitsausbeutung ist seit einigen Jahren weltweit die am häufigsten erfasste Form von Menschenhandel. Im Jahr 2022 wurden 42% der global identifizierten Betroffenen Opfer von Arbeitsausbeutung, sexuelle Ausbeutung war die zweithäufigste Form mit 36%. (UNODC Global Report of Trafficking in Persons 2024, 49)
Ausbeutung der Arbeitskraft ist in Österreich explizit in drei gerichtlichen Straftatbeständen erfasst. Das Delikt Menschenhandel (§ 104a Strafgesetzbuch) nennt die Ausbeutung der Arbeitskraft ausdrücklich als eines der möglichen Ausbeutungsziele. § 116 Fremdenpolizeigesetz sanktioniert die Ausbeutung eines Fremden [2], der sich in einer besonderen Abhängigkeit befindet. Das Ausländerbeschäftigungsgesetz sieht in § 28c für die Beschäftigung von Ausländer:innen ohne Aufenthaltsrecht in Österreich unter besonders ausbeuterischen Arbeitsbedingungen Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren vor. Dieselbe Strafdrohung gilt für die wissentliche Beschäftigung eines Opfers von Menschenhandel “unter Nutzung seiner unter Zwang erbrachten Arbeiten oder Leistungen”.
Zudem hat Österreich die Konvention der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zu Zwangsarbeit ratifiziert, in der Zwangsarbeit als Arbeit definiert wird, „die unter Androhung irgendeiner Strafe [irgendeines Nachteils] verlangt wird und für die sie [die Person] sich nicht freiwillig zur Verfügung gestellt hat“ [3].
Ausbeutung der Arbeitskraft liegt laut österreichischer Judikatur vor, wenn eine Person rücksichtslos ausgenutzt wird und die Ausnutzung gegen ihre “vitalen” Interessen gerichtet ist. Darunter wird verstanden, dass sie für die Arbeit über längere Zeit keine oder nur völlig unzureichende Bezahlung erhält, oder dass die gesetzlich festgelegten oder zumutbaren Arbeitszeiten über einen „längeren Zeitraum exzessiv ausgedehnt“ [4] werden. Zudem liegt Ausbeutung der Arbeitskraft vor, wenn das Opfer unter sonst unzumutbaren Arbeitsbedingungen oder unter erheblicher und nachhaltiger Verletzung kollektivvertraglicher oder gesetzlicher österreichischer Mindeststandards zur Arbeit angehalten wird. Es ist unerheblich, ob die Person selbständig oder unselbständig tätig ist.
Fälle von Arbeitsausbeutung sind aktuell in Österreich vor allem in der Landwirtschaft, im Baugewerbe, im Haushalt, in der 24-Stunden-Betreuung, in Leiharbeitsverhältnissen, in Reinigungsunternehmen, im Gastgewerbe und in der Sexarbeit [5] identifiziert worden. Personen mit einem geringen Ausbildungsniveau, mit Verständigungsproblemen, aus ärmlichen Verhältnissen, mit beschränktem oder gänzlich ohne regulären Zugang zum Arbeitsmarkt sind besonders gefährdet.[6] Irregulärer Aufenthalt, prekäre Arbeitsbedingungen, fehlende arbeitsrechtliche Kenntnisse, eingeschränkter Zugang zu rechtlichem Schutz sowie Isolation erhöhen das Risiko, ausgebeutet zu werden.[7]
laut den Tätigkeitsberichten von LEFÖ-IBF und MEN VIA wurden von den von ihnen betreuten mutmaßlichen Betroffenen von Menschenhandel im Jahr 2023 ca. 170 Frauen und 4 Männer Opfer sexueller Ausbeutung, ca. 100 Frauen und 84 Männer Opfer von Arbeitsausbeutung.
In der Sexarbeit wird die Ausbeutung zusätzlich durch die gesellschaftliche Stigmatisierung und das Fehlen von arbeitsrechtlichen Schutzvorschriften erleichtert.
Die Grenzen zwischen Ausbeutung der Arbeitskraft und sexueller Ausbeutung sind fließend. Bei Verdacht auf Ausbeutung sollte daher von Staatsanwaltschaft und Gerichten immer auch Arbeitsausbeutung geprüft werden, beispielsweise bei Vorenthalten von Einnahmen oder exzessiven Arbeits- bzw. fehlenden Ruhezeiten.
Herausforderungen:
Im Vergleich zu anderen Ausbeutungsformen ergeben sich bei Menschenhandel zum Zweck der Arbeitsausbeutung einige spezielle Herausforderungen bei der Identifizierung und dem Schutz von Betroffenen sowie bei der Strafverfolgung der Täter*innen:
- Das Bewusstsein bezüglich Menschenhandel zum Zweck der Arbeitsausbeutung ist sowohl in der Öffentlichkeit als auch bei relevanten Akteur:innen geringer ausgeprägt als hinsichtlich sexueller Ausbeutung. Viele Betroffene werden nicht als Opfer anerkannt, sondern als illegale Beschäftigte oder Scheinselbstständige behandelt.
- Trotz der gesetzlichen Rahmenbedingungen bleiben Fälle von Arbeitsausbeutung strafrechtlich oft ungeahndet, denn Zwang und Täuschung sind meist schwer nachzuweisen.
- Betroffene von Arbeitsausbeutung werden von Kontrollbehörden aus dem Fokus des Steuer- und Sozialbetrugs oft als Mittäter:innen verdächtigt und daher vielfach nicht als Opfer identifiziert.
- Es braucht fundierte Rechtskenntnisse und Erfahrung, um beurteilen zu können, wo die Grenze zwischen (noch) rechtlich zulässigen schlechten Arbeitsbedingungen, Arbeitsbedingungen, die gegen arbeitsrechtliche Vorgaben verstoßen und daher Schadenersatzansprüche auslösen, und strafrechtlich relevanter Arbeitsausbeutung verläuft.
- Betroffene kennen meist nicht die ihnen zustehenden Ansprüche bzw. haben Angst, diese geltend zu machen, vor allem, wenn sie über keinen gültigen Aufenthaltstitel verfügen oder keine andere Möglichkeit sehen, ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Dazu kommen sprachliche Barrieren.
- Arbeit in Privathaushalten (z.B. Haushaltsarbeit und Pflege) ist oft unsichtbar und somit auch dort stattfindende Arbeitsausbeutung. Die Kontrolle von Arbeitsverhältnissen in privaten Haushalten ist besonders schwierig, obwohl gerade in der Personenpflege oft ausbeuterische Bedingungen vorliegen.
- Durch die Teilung von Kompetenzen unter mehreren Kontrollbehörden entstehen Hindernisse, Ausbeutung zu erkennen und Beweismittel zu sichern:
- Arbeitsinspektionen sind nicht zuständig für die Kontrolle von arbeits- oder sozialversicherungsrechtlichen Belangen, Arbeitsverträgen und korrekter Entlohnung.
- Der Finanzpolizei stehen Maßnahmen bzw. Befugnisse gemäß Strafprozessordnung, wie etwa die Zeug:innen- oder Beschuldigtenvernehmung oder die Durchsetzung von Beweismittelsicherung, nicht zu.
- Im Bereich der Bekämpfung von Lohn- und Sozialdumping kontrolliert die Finanzpolizei lediglich Unternehmen, deren Sitz nicht in Österreich liegt; ansonsten liegt die Zuständigkeit bei den Krankenkassen.
- Die Kontrolle und Bestrafung von Firmen mit ausländischem Sitz gestaltet sich besonders schwierig. Teilweise sind diese rechtlich schwer fassbar und können damit nicht zur Rechenschaft gezogen werden.
Forderungen der Plattform:
Stärkere Sensibilisierung
- Es ist notwendig, flächendeckend Wissen über Menschenhandel zum Zweck der Arbeitsausbeutung zu vermitteln.
- Institutionalisierte, verpflichtende bereichsübergreifende Fortbildungen für alle Behörden (z.B. Finanzpolizei, Arbeitsinspektorat, Sozialversicherungsträger, Justiz, Arbeiterkammer) sind notwendig.
- Bei der Bekämpfung von Lohn- und Sozialdumping sollte die Aufmerksamkeit verstärkt Lohndumping gewidmet werden.
- Kontrolleinrichtungen sollten potentielle Betroffene mittels mehrsprachiger Informationsblätter über die Möglichkeit von (Rechts-) Beratungen informieren.
- Es sollten niederschwellige Stellen geschaffen werden, bei denen Arbeitsausbeutung gemeldet werden kann.
- Erstsprachliche Beratungsangebote für (potentielle) Arbeitnehmer*innen sollten flächendeckend zur Verfügung stehen. Etablierte Projekte bzw. Beratungsstellen, die zu Arbeitsrechten informieren, sind weiterzuführen und grenzüberschreitende gewerkschaftliche Beratung (z.B. IGR) ist auszubauen.
- In den Herkunftsländern sollten Ausreisewillige bereits über arbeitsrechtliche Standards im Zielland informiert werden.
- Durch die Ausbildung von Peers, die Wissen in die Gruppe vermitteln, kann eine größere Zahl von Arbeitnehmer*innen erreicht werden (Mundpropaganda).
- Zusätzlich sollten Informationsbroschüren an öffentlich leicht zugänglichen Plätzen, wie beispielsweise in Supermärkten, ausgelegt werden.
- Aufsuchende Arbeit ist in jenen Bereichen unverzichtbar, wo Betroffene isoliert leben, z. B. Erntehelfer:innen.
- Interessenvertretungen sollten Vorlagen für Arbeitsunterlagen und Verträge in einfacher verständlicher Sprache erstellen, die von Unternehmen verwendet werden sollten.
Zugang zu Entschädigung bzw. Nachzahlung vorenthaltener Löhne
- Eine angemessene Kompensationszahlung für Betroffene ist auch bei Zahlungsunfähigkeit der Täter*innen zu garantieren, indem die öffentliche Hand die Vorleistung übernimmt und dann die Täter*innen in Regress nimmt.
- Zugang zu Rechtsberatung und Prozessbegleitung ist sicherzustellen.
Strafverfolgung
- Die Strafverfolgungsbehörden sollen sich im Rahmen der Ermittlungen bemühen, Sachbeweise, etwa durch Telefonüberwachung oder Hausdurchsuchungen zu erlangen, damit die Aussagen von Betroffenen nicht die einzigen Beweismittel sind. Die Beweislast darf nicht alleine den Opfern obliegen. Vgl den Erlass des BMJ (GZ 2021-0.538.674) mit Richtlinien zur Strafverfolgung bei Delikten im sozialen Nahraum (3. Aufl.).
- Es ist sicherzustellen, dass Kommunikation in verschiedenen Sprachen möglich ist und Dolmetschen und Übersetzung gewährleistet wird.
Zusammenarbeit
- Die Zusammenarbeit zwischen Kontrollbehörden (z.B. Arbeitsinspektorat, Finanzpolizei, Krankenkassen und Polizei) soll verstärkt werden, um Betroffene besser identifizieren und Beweismittel sichern zu können.
- Zu diesem Zweck sind grenzüberschreitende Kooperationen auszubauen.
Privatsektor
- Die Privatwirtschaft soll angehalten werden, ihre Geschäfte und Lieferketten frei von Menschenhandel und Ausbeutung zu halten und die getroffenen Maßnahmen von unabhängigen Einrichtungen kontrollieren zu lassen. Hierzu sollen die UN Guiding Principles for Business and Human Rights herangezogen werden, sowie die Vorgaben der EU-Lieferketten-Richtlinie: Corporate ustainability Due Diligence Directive (CSDDD).
- Rekrutierungsfirmen und Arbeitgeber:innen sollten dafür sorgen, dass die Anwerbung von migrantischen Arbeitskräften aus dem Ausland transparent abläuft und im Einklang mit ethischen Rekrutierungsprinzipien steht, um Ausbeutung vorzubeugen (siehe den IOM IRIS Standard unter https://iris.iom.int/iris-standard ).
[1] Aufbauend auf einem Entwurf von IOM, LEFÖ-IBF und MEN VIA.
[2] „Fremde“ bezeichnet Personen ohne österreichische Staatsbürgerschaft. Laut Alexander Tipold (WK zu § 116 FPG, Rz 5) kommen auch Unionsbürger:innen in Betracht, da sie sich trotz Aufenthaltsrechts in einem besonderen Abhängigkeitsverhältnis befinden können.
[3] Siehe Art 2 der ILO Konvention 29, Übereinkommen über Zwangs- oder Pflichtarbeit, 1930.Das Wort ”penalty”in der englischen Fassung kann mit Strafe, aber auch mit “Nachteil” übersetzt werden.
[4] Hajdu/Planitzer/Probst (2014): Arbeitsausbeutung. Ein sozial-ökonomisches Problem? Frauenhandel bzw. Menschenhandel zum Zweck der Arbeitsausbeutung von Ungarinnen und Ungarn in Österreich, S. 10.
[5] Siehe dazu auch das Positionspapier “Menschenhandel zum Zweck sexueller Ausbeutung”.
[6] European Union Agency for Fundamental Rights (2015). Severe labour exploitation: workers moving within or into the European Union. States’ obligations and victims’ rights, p. 45.
[7] ebd., p. 49.
Menschenhandel zum Zweck der Organentnahme
Positionspaper Organentnahme
Positionspapier der Plattform gegen Ausbeutung und Menschenhandel Stand Jänner 2017, Aufbauend auf einem Entwurf von Katie Klaffenböck (IOM)
Definition und Erscheinungsformen
Die Entwicklung von Organtransplantationen stellt eine bedeutende Leistung der modernen Medizin dar, die bereits viele Menschenleben gerettet bzw. erheblich verbessert hat. In Österreich werden jährlich mehrere hundert Organtransplantationen durchgeführt, hauptsächlich von Nieren, Lebern und Lungen.
Allerdings ist die Nachfrage nach menschlichen Organen wesentlich höher als das Angebot. Laut der Europäischen Kommission warteten im Jahr 2007 ca. 65.000 Personen in der EU auf eine gesunde Niere. Insgesamt wurden im selben Jahr nur ca. 25.000 Transplantationen durchgeführt. Mehr als die Hälfte der Patient*innen konnte also nicht versorgt werden.
Obwohl eine Gewinnerzielung durch eine Organspende verboten ist, entsteht durch das
Ungleichgewicht zwischen Nachfrage und Angebot ein Markt für den illegalen Kauf und Verkauf von menschlichen Organen. Weltweit entscheiden sich Menschen für eine illegale Organspende in der Hoffnung, sich dadurch einen Ausweg aus der Armut zu schaffen. Teilweise werden potentielle Spender*innen von Zwischenhändler*innen über die möglichen Folgen einer Organspende getäuscht. Eine daraus resultierende Verschlechterung des gesundheitlichen Zustands der Person kann nämlich ihre Armut und soziale Verletzlichkeit noch verstärken.
In Österreich kann „Ausbeutung durch Organentnahme“ unter den Tatbestand Menschenhandel gemäß § 104a Strafgesetzbuch fallen. So ist z.B. die Anwerbung einer Person für eine Organspende durch Täuschung oder falsche Versprechungen gesetzlich untersagt und mit gerichtlicher Strafe bedroht.
Bis dato gibt es hierzulande keinen bekannten Fall von Menschenhandel zur Organentnahme. Dies ist wahrscheinlich auf die „Widerspruchlösung“ in Österreich zurückzuführen, wonach die explizite Zustimmung einer verstorbenen Person nicht erforderlich ist, um ihr einzelne Organe oder Organteile zu entnehmen (§§ 62a-e des Krankenanstalten und Kuranstaltengesetzes, BGBl. Nr. 1/1957 idgF). Aufgrund dieses Gesetzes ist der Unterschied zwischen Nachfrage und Angebot in Österreich nicht so erheblich wie in Ländern, in denen eine Organspende eine ausdrückliche Zustimmung des/der Verstorbenen zu Lebzeiten voraussetzt.
Obwohl bislang noch keine Fälle in Österreich bekannt sind, ist es trotzdem möglich, dass Österreich von Menschenhandel durch Organentnahme betroffen ist. So könnten beispielsweise österreichische Patient*innen, die im Ausland operiert werden, um ihre Wartezeit zu verkürzen, ein durch Ausbeutung entnommenes Organ transplantiert bekommen. Es ist auch möglich, dass medizinisches Personal in Österreich mit Personen in Kontakt kommt, denen Organe gegen ihren Willen bzw. unter Einsatz unlauterer Mittel entnommen wurden, zum Beispiel, wenn dies auf der Flucht geschah, die die betroffene Person schließlich nach Österreich führte.
Weltweit gesehen ist die Datenlage zu Menschenhandel durch Organentnahme spärlich. Laut UNODC wurden zwischen 2010 und 2012 in lediglich 12 Ländern Fälle berichtet. Die überwiegende Mehrheit der identifizierten Betroffenen waren Männer.
Herausforderungen
- Wenig Bewusstsein für das Thema, da keine Fälle bekannt sind. Dadurch bleiben aber möglicherweise auch Fälle unerkannt, in denen Indizien auf ausbeuterische Organentnahme hindeuten.
- Limitierte Ermittlungsmöglichkeiten bei Fällen, die vor vielen Jahren passiert sind – auch wenn die Betroffenen selbst später Anzeige erstattet haben. Dies ist teilweise darauf zurückzuführen, dass Betroffene sich nicht mehr daran erinnern, wo die Entnahme stattgefunden hat, da ihnen ein Anästhetikum/Betäubungsmittel verabreicht worden war.
Forderungen der Plattform
- Die „Widerspruchlösung“ soll beibehalten werden, um die Entstehung eines illegalen Organmarkts zu unterbinden.
- Medizinisches Personal soll mit dem Thema Menschenhandel durch Organentnahme vertraut sein und potentielle Betroffene identifizieren können (z.B. auffällige Narben).
- Beamt*innen, die für erst- und zweitinstanzliche Asylverfahren zuständig sind, sollen über das Thema Menschenhandel durch Organentnahme Bescheid wissen und asyl- bzw. verfahrensrelevante Informationen bei ihrer Entscheidungsfindung berücksichtigen.
- Mitarbeiter*innen, die für die Versorgung von Asylwerber*innen zuständig sind, sollen mit dem Thema Menschenhandel durch Organentnahme vertraut gemacht werden.
Quellen:
UNODC (2015). Assessment Toolkit. Trafficking in Persons for the Purpose of Organ Removal.
https://www.unodc.org/documents/human-trafficking/2015/UNODC_Assessment_Toolkit_TIP_for_the_Purpose_of_Organ_Removal.pdf
Bundesministerium für Gesundheit und Frauen. „Organe”.
http://www.bmgf.gv.at/home/Gesundheit/Medizin/Blut_Gewebe_Organe/Organe/ (Zugriff 19.09.2016)
Positionspapier Ausbeutung in der Bettelei
Positionspapier Ausbeutung in der Bettelei
Positionspapier der Plattform gegen Ausbeutung und Menschenhandel Stand Jänner 2017, Aufbauend auf einem Entwurf von Markus Zingerle (MEN VIA)
Definition und Erscheinungsformen
Betteln wird im medialen und öffentlichen Diskurs immer wieder abgewertet und nicht als legitime Art betrachtet, den Lebensunterhalt zu bestreiten. Familien werden als Banden oder gar als Bettelmafia diffamiert. Menschen, die betteln, wird unterstellt, keiner anderen Arbeit nachgehen zu wollen oder zum Betteln gezwungen worden zu sein. Dabei wird der überwiegende Teil der Menschen, die ihr Überleben zum Teil mit Betteln sichern müssen, allein von Armut und Alternativlosigkeit dazu gezwungen. Zugehörigkeit zu einer diskriminierten Gruppe, Alter, Krankheit, Behinderung, fehlende Ausbildung und weitere Gründe verschließen ihnen den Zugang zu anderer Erwerbstätigkeit. Die Diskreditierung des Bettelns und Stigmatisierung von Menschen, die betteln, tragen zu einer großen Verletzbarkeit bei.
Jemanden mit unlauteren Mitteln1 und dem Vorsatz, dass er oder sie ausgebeutet wird, zum Betteln zu bringen, ist seit 20132 gemäß 104a StGB als Menschenhandel strafbar.
In den vergangenen zwei Jahrzehnten nahm das Betteln in ganz Europa zu, was zu einer stark emotionalisierten Debatte, zu unterschiedlichen Regulierungsbemühungen und nicht zuletzt auch zu Bettelverboten auf Landes- und Gemeindeebene führte. „Aufdringliches“ Betteln beziehungsweise Betteln mit Kindern sind weitgehend verboten. Als „aufdringlich“ wird aber teilweise schon beurteilt, wenn jemand die Hand ausstreckt oder jemanden anspricht. Mütter, die ihre Kinder auch nur auf dem Schoß sitzen haben, riskieren nicht nur eine Verwaltungsstrafe, sondern auch die Kindesabnahme.
Daneben existieren unterschiedliche Bestimmungen mit Interpretationsspielräumen, die Menschen, die betteln, dieses fast unmöglich machen. Strafen für gewerbsmäßiges Betteln werden teilweise schon verhängt, wenn jemand einige Male am selben Ort gebettelt hat. Wegen „organisierten“ Bettelns wird bisweilen schon bestraft, wer mit einem anderen Menschen, der bettelt, Augenkontakt hatte. Zusätzlich werden andere Rechtsnormen, wie etwa die Straßenverkehrsordnung, herangezogen, um Menschen, die betteln, z.B. wegen „unbegründetem Stehenbleiben“ oder der „Behinderung des Fußgängerverkehrs“ zu bestrafen.
Gerechtfertigt werden Einschränkungen des Bettelns und Bestrafungen mitunter als Beiträge zum Kampf gegen Menschenhandel. Diese Argumentation weist die Plattform gegen Ausbeutung und Menschenhandels zurück, denn damit wird fälschlich unterstellt, dass Betteln immer eine Form oder Folge von Ausbeutung ist.
1 Bei Minderjährigen ist der Tatbestand auch ohne das Vorliegen unlauterer Mittel erfüllt.
2 Mit dem „Sexualstrafrechtsänderungsgesetz 2013“ (BGBl I 2013/116) wurde die EU-Richtlinie 2011/36/EU zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels und zum Schutz seiner Opfer sowie zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2002/629/JI des Rates, ABl. Nr. L 101 vom 15.4.2011, umgesetzt und u.a. „Ausbeutung zur Bettelei“ ausdrücklich als Ausbeutungsform in den Tatbestand „Menschenhandel“ (§ 104a Strafgesetzbuch) aufgenommen.
Generelle Einschränkungen treffen und kriminalisieren vor allem die vermeintlichen und auch die tatsächlichen Opfer. Zur Identifikation von Betroffenen von Menschenhandel oder zur Strafverfolgung von Täter*innen wird durch Bettelverbote nicht beigetragen. Einschränkungen zum Schutz der Kinderrechte bzw. des Kindeswohls, sind aber notwendig und gerechtfertigt, aber ohnedies durch entsprechende Gesetze abgedeckt.
Die Aufnahme von Ausbeutung zur Bettelei in die Definition von Menschenhandel hat aber die Aufmerksamkeit der Ermittlungsbehörden nun auch auf Straftaten gegen diese marginalisierte Gruppe gelenkt und ermöglichte bereits in den ersten Jahren einigen Verbrechensopfern Zugang zu Schutz und rechtlichen Schritten gegen ihre Ausbeuter*innen. Laut Streetworkern und Beratungsstellen für Menschen, die betteln, sind Berichte über Ausbeutungsfälle selten. In den meisten dieser sowie der polizeilich ermittelten Fälle beuteten einzelne Täter*innen oder kleine Gruppen wenige Betroffene aus. Teilweise waren die Ausbeuter*innen Menschen, die auch selbst bettelten.
Herausforderungen
Identifizierung
Zahlreiche Hindernisse erschweren die Identifikation der von Menschenhandel betroffenen Personen, die betteln. Wiederholte Erfahrungen der Erniedrigung, Bestrafung, Vertreibung, Polizeigewalt und Entrechtung erschüttern jedes Vertrauen gegenüber Vertreter*innen von Behörden und Sozialeinrichtungen. Dabei wären die Behörden aufgefordert, Verdachtsfälle von Menschenhandel proaktiv zu erkennen und die identifizierten Opfer vor weiterer Bestrafung zu schützen.
Das Vertrauen vor allem junger Menschen, die in einer familiären Beziehung oder in einem sonstigen Autoritätsverhältnis zu den Ausbeuter*innen stehen, ist besonders schwer zu gewinnen. Mitunter sind Betroffene aufgrund ihrer negativen Erfahrungen sogar misstrauisch, wenn sie ein Unterstützungsangebot erhalten. Manche nehmen sich auch selbst gar nicht als ausgebeutet wahr. Beides hängt mit den Umständen in den Herkunftsländern zusammen, in denen sie noch schlechteren Lebensbedingungen, Diskriminierung und Rassismus ausgesetzt waren.
Rassistische Vorurteile
Betteln wird auch in Österreich hauptsächlich als „Roma-Thema“ verhandelt. Antiziganistische Vorurteile spielen im politischen und medialen Diskurs eine große Rolle und schlagen sich auch in der Arbeit von Polizei und Behörden nieder. Dieses Problem muss anerkannt und bearbeitet werden um Pauschal- und Vorverurteilungen ohne sachliche Grundlage zu vermeiden.
Zeug*innen
Im Zuge von Einvernahmen und Aussagen vor Gericht erleben manche Menschen, die betteln, dass ihnen aufgrund von Vorurteilen nicht geglaubt wird. Angewiesenheit auf Dolmetsch und intellektuelle oder krankheitsbedingte Beeinträchtigungen erschweren es vielen dieser Betroffenen, den Anforderungen an schlüssige Zeug*innenaussagen gerecht zu werden. Selten liegen Sachbeweise oder Zeug*innenaussagen Dritter als Unterstützung vor, um die „Beweislast“ der Betroffenen zu erleichtern. Dies ist vor allem auch eine Herausforderung für die Ermittlungsbehörden.
Schutz vor erneuter Ausbeutung
Menschen, die in der Bettelei Opfer von Ausbeutung geworden sind, bleiben unabhängig vom Ausgang der juristischen Verfahren stark gefährdet, erneut in eine sehr verletzbare Lebenssituation zu geraten. Wenn weder Integration in Arbeitsmarkt oder Sozialsystem, noch eine sichere Rückkehr möglich sind, misslingt der Opferschutz. Als sicher kann eine Rückkehr nur bezeichnet werden, wenn weder Rache oder erneute Gewalt durch die Täter*innen, noch der Rückfall in eine ebenso verletzbare Lage wie vor dem Menschenhandel drohen. Besonders Personen, die aus gesundheitlichen Gründen nicht eigenständig lebensfähig sind, kommen mit hoher Wahrscheinlichkeit erneut in Abhängigkeits- und Gewaltbeziehungen
Forderungen der Plattform
- Die Expertise der Opferschutzeinrichtungen und einschlägig erfahrener NGOs ist anzuerkennen, wenn es um die Identifizierung von Betroffenen von Menschenhandel geht. Durch erfahrene NGOs identifizierte Betroffene des Menschenhandels sind rechtlich mit jenen Personen gleichzustellen, die von Strafverfolgungsbehörden identifiziert wurden. Manchen Betroffenen ist eine Aussage vor Polizei oder Gericht nämlich nicht zumutbar, insbesondere wenn sie infolge der Ausbeutung traumatisiert sind oder aufgrund von persönlichen Defiziten voraussichtlich nicht zu einer entsprechend verwertbaren Aussage in der Lage sind.
- Rascher Zugang zur Gesundheitsversorgung für Betroffene von Menschenhandel. In der Bettelei werden nämlich auch Menschen mit multiplen Erkrankungen und dringendem Behandlungsbedarf ausgebeutet.
- Schulungen der Behördenvertreter*innen in nicht-diskriminierender Kommunikation sowie zum Thema Antiziganismus sind notwendig, sowie überhaupt Bewusstseinsbildung zur Lebenssituation von Menschen, die betteln, sowohl hier als auch in den Herkunftsländern. Den Behörden sollten überdies gezielt Personen anstellen, die über entsprechende Sprach- und Kulturkompetenz verfügen („cultural mediators“).
- Sensibilisierung von Behörden und Medien darüber, dass Betteln häufig nicht mit Ausbeutung einhergeht.
- Gewährung des humanitären Aufenthaltsrechtes und Zuerkennung der Mindestsicherung sowie Öffnung der Wohnungslosenhilfe für nicht allein lebensfähige Betroffene von Menschenhandel nach Abschluss der Verfahren oder der Betreuung durch eine Opferschutzeinrichtung.3
- Hinsichtlich betroffener Kinder und Jugendlicher, bzw. Kindern, die von der Behörde abgenommen wurden, muss eine das Kindeswohl gewährleistende Betreuung hier oder im Herkunftsland sichergestellt sein. Zu diesem Zweck ist seitens Österreichs ein regelmäßiger Informationsaustausch mit den jeweils zuständigen Jugendwohlfahrtsbehörden der Herkunftsländer einzurichten. Das Kindeswohl ist im Sinne der österreichischen Standards auszulegen.
3 Es handelt sich dabei um eine kleine, aber sehr verletzbare Gruppe psychisch kranker und älterer Personen.
Positionspapier Strafbare Handlungen
Positionspapier Strafbare Handlungen
Positionspapier der Plattform gegen Ausbeutung und Menschenhandel Stand Jänner 2017, Aufbauend auf einen Entwurf von Katie Klaffenböck (IOM)
Definition und Erscheinungsformen
Verleitung oder Zwang zur Begehung von strafbaren Handlungen stellen eine der weniger bekannten Ausbeutungsformen des Tatbestands Menschenhandel laut § 104a Strafgesetzbuch dar. In solchen Fällen werden betroffene Personen unter Druck gesetzt oder es wird ihre Zwangslage ausgenützt oder aber sie werden – oft in sehr jungem Alter – dazu verleitet, mit Strafe bedrohte Handlungen zu verüben. Menschenhändler*innen profitieren dadurch, dass Betroffene beispielsweise einen Teil der Beute abgeben müssen bzw. die Verantwortung im Falle einer Festnahme auf sich nehmen.
Die meisten bekannten und vermuteten Fälle in Österreich beziehen sich auf die Ausbeutung von Minderjährigen. So werden beispielsweise Kinder aus schwachen sozialökonomischen Hintergründen beauftragt, Taschendiebstahl zu begehen oder Drogen zu verkaufen. Oft müssen die Kinder täglich bestimmte Mindest-Beträge abliefern. Sollten die Kinder nicht auf den genannten Betrag kommen, müssen sie in manchen Fällen das fehlende Geld durch andere Quellen decken, zum Beispiel durch das Anbieten von sexuellen Dienstleistungen.
Teilweise werden unmündige Minderjährige (unter 14 Jahre alt) von den Menschenhändler*innen eingesetzt, da sie nicht von der Polizei inhaftiert werden können und daher bald wieder zur Begehung strafbarer Handlungen angehalten werden können.
Betroffene von Menschenhandel, die strafbaren Handlungen unter Druck bzw. gegen ihren Willen begangen haben, sind Opfer und sollen daher nicht für Straftaten, die während der Zeit ihrer Ausbeutung begangen wurden, zur Rechenschaft gezogen werden. Dieses sogenannte „Non- Punishment-Prinzip“ wird in der EU-Richtlinie 2011/36/EU zu Menschenhandel sowie im Übereinkommen des Europarats zur Bekämpfung des Menschenhandels festgehalten.
In Österreich sind in § 6 Verwaltungsstrafgesetz mögliche Gründe für Straffreiheit dargestellt. In diesem Rahmen kann Straffreiheit für Betroffene von Menschenhandel vor allem durch einen „entschuldigenden Notstand“ begründet werden. Dies kann aber in der Praxis schwer umzusetzen sein, da diese Bestimmung sehr streng ausgelegt wird. Bisher ist dieser Paragraph in einschlägigen Fällen noch nicht zu Anwendung gekommen.
Im Gerichtlichen Strafrecht findet sich die Regelung des entschuldigenden Notstandes in § 10 StGB. Auch diese Bestimmung wird aber sehr eng ausgelegt, insbesondere wird eine entschuldigende Notstandssituation nur dann angenommen, wenn der*dem Betroffenen unmittelbar ein bedeutender Nachteil droht.
Herausforderungen
- Betroffene werden oft als Täter*innen wahrgenommen. In der Tat sind sie aber Opfer eines Verbrechens.
- Aufgegriffene Minderjährige, die von der Polizei in Betreuungsstellen, z.B. die Drehscheibe der Kinder- und Jugendhilfe Wien, gebracht werden, können diese sofort wieder verlassen. Es gibt wenige Anreize, die die Betreuungsstellen anbieten können, um die Minderjährigen zum Bleiben zu bewegen. Die gemischte Unterbringung von mutmaßlichen minderjährigen Ausbeutungsopfern und (anderen) minderjährigen Asylwerber*innen macht eine gezielte Betreuung der potentiell von Menschenhandel Betroffenen fast unmöglich.
- Minderjährige, die zu strafbaren Handlungen verleitet werden, sehen sich oft nicht als Opfer, sondern akzeptieren ihre Situation – wohl auch mangels Alternative. Sie müssen zwar Teile der Beute abliefern, haben aber ein gewisses Maß an Freiheit und dürfen einen Teil des Erbeuteten für sich behalten. Dass ihnen durch das Verleiten zur Kriminalität jegliche Zukunftsperspektive geraubt wirde, können sie aufgrund ihrer Unerfahrenheit nicht abschätzen; sie besuchen z.B. nicht die Schule und haben daher auch langfristig kaum Verdienstmöglichkeiten außerhalb der Kriminalität.
- Beispiele aus dem Ausland zeigen (z.B. Niederlande, Nidos), dass es nur mit einer sehr engmaschigen Betreuung (Betreuungsschlüssel nahezu 1:1) möglich ist, Vertrauen zu den Kindern aufzubauen und ihnen andere Perspektiven zu vermitteln. Erst dann sind sie bereit bzw. fassen den Mut, aus dem kriminellen Kreislauf der Menschenhändler*innen (oft ihre erweiterte Familie) auszusteigen.
Forderungen der Plattform
- Polizist*innen im Streifendienst sollen über diese Ausbeutungsform aufgeklärt werden, damit sie betroffene Personen als Opfer und nicht als Täter*innen behandelt.
- Das „Non-Punishment-Prinzip“ soll auch in der Praxis zur Anwendung kommen. Betroffene von Menschenhandel, die Straftaten aufgrund ihrer Zwangslage begangen haben, sollen nicht strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden können.
- Die Kinder- und Jugendhilfe soll die Ressourcen zur Verfügung haben, um eine spezialisierte Betreuung für ausgebeutete Minderjährige anzubieten. Solche Minderjährige sollen nicht gemeinsam mit asylsuchenden Minderjährigen betreut werden.
Weiterführende Quellen:
http://www.ecpat.org.uk/sites/default/files/child_trafficking_for_forced_criminality.pdf
https://www.state.gov/documents/organization/233938.pdf
https://www.nidos.nl/